Kann man als Führungskraft Mitarbeitende coachen?

Christian Thiele, Autor und Coach, verneint die Frage nach einer „coachenden Führungskraft“ und hält dies aus der Sicht von Coaches, Führenden und Geführten für einen Fehler (Christian Thiele: Führungskräfte, Ihr seid keine Coaches! in Personalwirtschaft, 27.09.2022, https://www.personalwirtschaft.de/news/personalentwicklung/fuehrungskraefte-ihr-seid-keine-coaches-142828/#.Y0AnFc1hDo4.mailto). Ich sehe das anders.

Zunächst stellt sich die Frage, was Christian Thiele unter Coaching versteht. Er definiert in seinem Beitrag Coaching als „professionellen, selbst gestalteten, auf Augenhöhe begleiteten und zeitlich begrenzten Prozess der Weiterentwicklung“. Da bin ich d’accord.

Ich gebe dem Kollegen Thiele zudem recht, dass Führungskräfte immer auch Interessen und Ziele haben, die mit denen der Geführten kollidieren und sie deshalb als Coach nicht neutral wahrgenommen werden können. Dies ist eine wichtige Einschränkung für die Arbeit als Coach, der sich „coachende Führungskräfte“ bewusst sein müssen.

Ich empfehle deshalb für die Praxis Führungskräften auch nur die Anwendung von Coaching-Methoden, wenn die Beziehung zwischen ihnen und ihren Mitarbeitenden von Vertrauen und Offenheit geprägt ist. Distanzierte Mikromanager sollten meiner Meinung nach die Finger von Coaching-Methoden lassen. Ich selbst spreche deshalb auch lieber davon, dass Führungskräfte Coaching-Methoden anwenden, als Führungskraft in der Coach-Rolle agieren oder coachende Führungskräfte sind. Eher Abstand nehme ich von der Bezeichnung „Führungskraft als Coach“.

Coach und Führungskraft sind zwei unterschiedliche Rollen. Beide Rollen können nur mit Einschränkungen von ein und derselben Person wahrgenommen werden. Und manchmal klappt es gar nicht. Wenn ich als externer Coach arbeite, habe ich den Vorteil, dass ich keine Hidden Agenda im Coaching verfolge. Ich bin voll und ganz auf meinen Coachee fokussiert und nutze gezielt Methoden und Techniken, um ihn bei der Selbstreflexion sowie Lösungssuche und damit bei seiner persönlichen Entwicklung zu unterstützen.

Das fällt Führungskräften schwer bzw. schnell wird ihnen unterstellt, eigene Interessen und Ziele im Coaching zu verfolgen. Das belastet dann häufig das Verhältnis zwischen der coachenden Führungskraft und dem Coachee und begrenzt die Wirksamkeit eines Coachings durch die Führungskraft, macht jedoch die Anwendung von Coaching-Methoden durch Führungskräfte nicht wirkungslos. Wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu erkennen, zu wissen bis wo man als Führungskraft eine Stütze bei der Entwicklung der Mitarbeitenden ist und ab wann es zielführend ist, einen externen Coach hinzuziehen.

Was ich anders sehe als der Kollege:

Thiele schreibt: „Stärken sehen und heben; Sinn im Handeln (wieder)finden; Motivationsbremsen entdecken und lösen; inspirierende Fragen stellen, ohne zu glauben, die Antworten zu kennen und damit Neues fördern; einen sicheren Raum für Fehler und Defizite schaffen; Optionen abwägen; Entwicklung fördern und begleiten: Gute Coachinnen und Coaches können das. Sie haben dafür auch Tool X und Methode Y, die hilfreich sein kann. Es macht Sinn, dass Führungskräfte dafür ein grundlegendes Verständnis haben. Aber eben nicht mehr.“

Für mich sind die im ersten Satz genannten Aufgaben, klassische Führungsaufgaben und nicht allein auf einen (externen) Coach zu übertragen. Aus meiner Sicht ist es deshalb auch nicht ausreichend, dass Führungskräfte nur ein Verständnis von diesen Aufgaben haben, sondern diese auch erfüllen können. Um so wichtiger, dass Führungskräfte Methoden und Techniken aus dem Coaching nicht nur kennen, sondern auch anwenden können. GROW oder das Coaching-KATA sind dabei in der Praxis etablierte Methoden, die gut funktionieren.

Ein (externer) Coach kann bei den genannten Aufgaben Führungskräfte wie Mitarbeitende unterstützen, doch bleibt die gezielte Entwicklung der Mitarbeitenden für mich immer eine zentrale Führungsaufgabe (das sah übrigens auch schon Fredmund Malik in seinem Klassiker „Führen. Leisten. Leben“ so).

Wichtig ist dabei die Transparenz: Sowohl für Mitarbeitende als auch für die Führungskraft muss klar sein, was das Ziel des Coachings ist. Agiert die Führungskraft in der Coach-Rolle und unterstützt sie die Mitarbeitenden in dieser Rolle dabei, den Job besser zu machen, ergeben sich auch erfahrungsgemäß selten Zielkonflikte. Beide wollen, dass es im Job besser läuft. Das Coaching ist dann ganz auf den Job ausgerichtet. Im Fokus eines solchen Coaching-Ansatzes stehen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Ressourcen des Coachees sowie Rahmenbedingungen, die Einfluss auf seinen Job nehmen (Ziele, Prozesse, Ressourcen, Kompetenzen, etc.).

An Grenzen stößt ein solcher Ansatz, wenn es um Themen, wie Persönlichkeit, Motivation, Resilienz, Konflikte im Team oder gar mit der Führungskraft selbst geht. Schnell ergeben sich dann Zielkonflikt: Wie gehe ich mit Mitarbeitenden um, die mir mitteilen, dass sie nur noch wenig Sinn bei ihrer Arbeit empfinden und deshalb kaum noch Motivation für diese aufbringen können? In solchen Situationen empfehle ich, einen externen Coach hinzuzunehmen, der professionell und neutral mit dem Coachee solche Themen bearbeiten kann. Dies sollte kein Thema sein, dem sich die Führungskraft coachend annimmt.

Aus der Praxis:

Zum einen habe ich selbst als Führungskraft mit Coaching-Methoden sehr gute Erfahrungen gemacht und zum anderen bilde ich seit über 10 Jahren Führungskräfte in der Anwendung solcher Methoden aus.

Wichtig ist es aus meiner Sicht zum einen, dass Führungskräfte nicht (leider immer noch in vielen Unternehmen die Regel) eine Schmalspurausbildung in Sachen Coaching-Methoden erhalten (also kein einmaliges 3-Tage-Seminar), sondern man sie systematisch und fundiert ausbildet (gilt aus meiner Sicht auch grundsätzlich für den Job als Führungskraft). Blended Learning inklusive einer langfristigen und regelmäßigen Praxisbegleitung beispielsweise durch Supervision oder Coaching sollten hier Standard sein.

Zum anderen sollten sich Führungskräfte ihrer Grenzen bei der Anwendung von Coaching-Methoden sehr wohl bewusst sein. Dann funktioniert meiner Erfahrung nach der Ansatz einer „coachenden Führungskraft“ auch sehr gut.

Gerade im gewerblichen Bereich, wo Lean Management etabliert ist, macht man mit Coaching KATA sehr gute Erfahrungen. Im Vertrieb ist der Vertriebsleiter sogar oft der Einzige, der seine Mitarbeitenden gezielt in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen kann (z.B. bei regelmäßigen Begleitungen bei Kundenbesuchen, bei der Vor- und Nachbereitung von Kundengesprächen und Verhandlungen). Oft ist es auch ein Ressourcenthema und wenn dann nicht die Führungskraft coacht, tut es am Ende niemand.

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